BRICS-Gipfel: Wie Russland seine Macht ausbauen will – DW – 22.10.2024
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BRICS-Gipfel: Wie Russland seine Macht ausbauen will

Alexey Strelnikov
22. Oktober 2024

Russland sieht in der BRICS-Organisation vor allem einen möglichen Weg, westliche Sanktionen zu umgehen. Wir erklären, welche Pläne Moskau verfolgt - und welche Aussichten auf Erfolg sie haben.

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Blick auf den Kreml im russischen Kasan, im Vordergrund Fahnen BRICS-Gipfels
Moskau möchte mehr Macht - muss aber mit Konkurrenz rechnen: BRICS-Gipfel im russischen KasanBild: Maxim Shemetov/REUTERS

In Kasan findet der jährliche Gipfel der BRICS-Staaten statt, der 16. seit der BRICS-Gründung im Jahr 2006. Es nehmen 24 Staats- und Regierungschefs teil, Gastgeber ist der russische Präsident Wladimir Putin.

Beim jüngsten Gipfel in Südafrika war er nicht auf dem Gruppenfoto zu sehen, stattdessen schüttelte Außenminister Sergej Lawrow den Staatsvertretern die Hand. Putin hatte abgesagt, offenbar weil er eine Verhaftung fürchtete aufgrund des gegen ihn bestehenden Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, den Südafrika anerkennt.

Russlands Präsident Wladimir Putin steht vor einem Bildschirm mit dem Logo des BRICS-Gipfels
Nach Südafrika hat er sich nicht getraut - in Kasan ist er dabei: Russlands Präsident Wladimir Putin beim BRICS-GipfelBild: Alexander Nemenov/Pool via REUTERS

Den ursprünglichen BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika haben sich 2024 vier weitere Länder angeschlossen: Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Aus Moskau heißt es, das Interesse an der Organisation wachse. 34 Staaten wünschten eine Zusammenarbeit "in verschiedenen Formen", darunter Staaten der GUS, aus Afrika, Südamerika und Südostasien. Auf dem Gipfel in Kasan soll das erweiterte Format BRICS Plus erörtert werden, um die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Organisation zu erhöhen.

BRICS Bridge - ein globales Zahlungssystem

Eines der Hauptthemen: Das gemeinsame Zahlungssystem BRICS Bridge, das das russische Finanzministerium Anfang Oktober vorgestellt hat. Es soll "schnelle und günstige" grenzüberschreitende Zahlungen zwischen den Mitgliedstaaten in Landeswährungen ermöglichen, einschließlich der Nutzung von Blockchain-Technologien und digitalen Währungen der Zentralbanken - ohne den Weg über Korrespondenzbanken in den USA. Dem Magazin "The Economist" zufolge will Moskau auf diese Weise internationale Sanktionen umgehen, die Russland von grenzüberschreitenden Zahlungen in US-Dollar abschneiden.

Das geplante Zahlungssystem habe die westlichen Finanzaufsichtsbehörden alarmiert - allerdings sei es kompliziert, ein solches System auf die Beine zu stellen. Die Teilnehmer müssten umfangreiche staatliche Hilfen beisteuern und das System könnte die nationalen Regulierungsbehörden stark belasten, sollte ein Staat Reserven in der Landeswährung eines anderen anhäufen. Russlands Motiv sei klar, meint der "Economist" - aber wozu brauchten die anderen BRICS-Staaten ein solches Zahlungssystem?

Attraktiv für Entwicklungsländer

Evgeny Kogan von der russischen Wirtschaftshochschule meint in seinem Telegram-Kanal "Bitkogan", dass die BRICS-Organisation bislang kaum Bereitschaft gezeigt habe, Russland vor internationalen Sanktionen zu bewahren. So habe sich die von den BRICS-Staaten gegründete Entwicklungsbank 2022 selbst den Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Zudem weist Kogan auf folgende Relation hin: Die Gesamtbevölkerung der BRICS-Staaten mache mit 3,5 Milliarden Menschen etwa 45 Prozent der Weltbevölkerung aus - ihr Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrage dagegen 37,3 Prozent betrage. Sein Fazit: "Es ist zu früh, von einer neuen Weltordnung zu sprechen."

Entwicklungsländer hätten aber durchaus Interesse an der BRICS-Organisation und ihrem Zahlungssystem. "Nicht, um die USA zu ärgern, sondern als Möglichkeit für wirklich schnelle Zahlungen", schreibt der Ökonom. Fünf bis sieben Prozent der internationalen Zahlungen in US-Dollar würden aufgrund der Compliance-Regelungen US-amerikanischer Korrespondenzbanken verlangsamt. Sie sollen unter anderem vor Insidergeschäften, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung schützen. Kogan kritisiert, dass die BRICS-Staaten eine "philosophische Sicht einer ineffektiven und ungerechten modernen Weltordnung" verträten.

BRICS-Mitglieder: Konkurrenz und Widersprüche 

Moskau gelinge es aber durchaus, das BRICS-Format als eine "neue Weltordnung" zu verkaufen, meint Anton Barbaschin vom Online-Portal "Riddle". Im Gespräch mit der DW verweist der Politikwissenschaftler auf die wachsende wirtschaftliche und politische Rolle der BRICS-Mitglieder Indien, China und Vereinigte Arabische Emirate, seit Russland seinen umfassenden Krieg gegen die Ukraine begonnen hat.

Russland presche mit vielen Initiativen vor, auch wenn die meisten davon nicht umgesetzt würden oder auf dem Niveau von BRICS-Sportveranstaltungen blieben. "Das Projekt einer einheitlichen Währung ist gescheitert", resümiert Barbaschin. Bislang arbeite nur der Iran mit Russland an einer "alternativen Finanzarchitektur", die auf dem russischen Zahlungssystem "Mir" basieren soll. Die BRICS-Organisation bleibe ein "Interessenclub", in dem jeder einfach gute Geschäfte machen wolle. "Russland ist wegen des Drucks westlicher Länder lediglich der wichtigste Anbieter billiger Energieressourcen."

Barbaschin ist überzeugt, dass der BRICS-Slogan "Für eine gerechte Welt" nur ein Slogan bleiben wird, da jeder Mitgliedstaat eigene Verhandlungen mit entwickelten westlichen Ländern führe und es innerhalb der Organisation viele Gegensätze gebe. Darum werde sich aus der Vereinigung auch kein Militärbündnis entwickeln. "China und Indien haben sich im Jahr 2020 ein wenig bekämpft und der Iran droht Saudi-Arabien, einem Partner der Vereinigten Arabischen Emirate, immer wieder mit Krieg. Sollte der Konflikt zwischen China und den USA eskalieren, werden sich die BRICS-Staaten in verschiedene Lager zerstreuen." Die Zukunft der BRICS-Organisation wird Barbaschin zufolge von den Konkurrenten Indien und China abhängen.

Russlands zunehmende Abhängigkeit von China

Indien und China waren im Jahr 2023 mit 90 Prozent die Hauptimporteure von russischem Öl. Darauf verweist Aleksei Chigadaev von der Universität Leipzig im Gespräch mit der DW. Vom Handel hänge ab, wie der russische Staatshaushalt gefüllt werde, so der Politikwissenschaftler und Orientalist. "Südafrika und Brasilien spielen in diesem Fall eine deutlich untergeordnete Rolle." Und Chinas Einfluss auf Russland wachse gerade aufgrund der finanziellen Interaktion schneller als der Indiens. Von allen Optionen sei die chinesische Währung nach wie vor die liquideste und am wenigsten volatile.

Chigadaev zufolge fördern die chinesischen Behörden keinen Anschluss inländischer Banken an das russische System zur Übermittlung von Finanznachrichten (SPFS), das ähnlich arbeitet wie SWIFT. China werbe stattdessen auf dem russischen Markt für sein eigenes System CIPS. In Russland seien derzeit vier chinesische Banken ansässig, die Transaktionen von 23 russischen Banken als indirekte Teilnehmer durchführen. "Russland wird wahrscheinlich immer stärker vom Yuan und Peking abhängig werden, um einen Zugang zum internationalen Finanzsystem aufrechtzuerhalten", glaubt Chigadaev. Seiner Meinung nach will Moskau die Schaffung einer BRICS-Währung gerade deshalb vorantreiben, um seine wachsende Abhängigkeit von China zu verringern.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk