Demo gegen Rechtsextremismus im Regen von Berlin – DW – 03.02.2024
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Demo gegen Rechtsextremismus im Regen von Berlin

3. Februar 2024

In der deutschen Hauptstadt demonstrieren weit mehr als 150.000 Menschen gegen Hass, Hetze und Ausgrenzung. Ein Protest der Zivilgesellschaft - ohne Stimmen aus der Politik.

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Deutschland Berlin 2024 | Demonstration gegen Rechtsextremismus
Ein Teil der Menschenmenge vor einem Gebäude des BundestagesBild: Liesa Johannssen/REUTERS

Um 14:43 Uhr ist es soweit. "Wir haben das gesamte Gebäude des Bundestages umrundet", spricht, nein schreit der Moderator, Migrationsaktivist Tareq Alaows, ins Mikrofon. "Wir haben eine lebendige Brandmauer errichtet." Alaows steht auf einer kleinen Bühne. Und rundherum jubeln weit über 100.000 Menschen.

Im Herzen des politischen Berlin, auf den Freiflächen zwischen dem Reichstagsgebäude, dem Sitz des deutschen Parlaments, und Kanzleramt, zwischen Brandenburger Tor und Hauptbahnhof versammeln sich an diesem regnerisch-kalten Samstag zigtausend Menschen zum Protest gegen Rechtsextremismus. Zu der Kundgebung "#WirSindDieBrandmauer" hatte ein Bündnis "Hand in Hand - Jetzt solidarisch aktiv werden!" aufgerufen. 

Die Veranstalter schätzten die Menge zwischendurch auf rund 300.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Polizei spricht von mehr als 150.000. "In der Spitze" seien 150.000 Menschen gleichzeitig vor Ort gewesen, heißt es auf Anfrage. Die Reihe der Proteste gegen Rechtsextremismus in Deutschland setzt sich also auch an diesem Tag fort. In Freiburg und Dresden demonstrierten rund 30.000 Menschen, in Nürnberg und Augsburg an die 25.000, ebenso in vielen anderen Städten an diesem Samstag.

Demonstration gegen Rechtsextremismus in Berlin - auf einem Plakat steht "Wir sagen Nein zur AfD"
Vielfach richteten sich Transparente gegen die "Alternative für Deutschland"Bild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Größte Demo seit Beginn der Protestwelle

Mit Blick auf die Polizei-Zahlen ist Berlin die größte Demonstration in Deutschland seit Mitte Januar, seit Beginn der breiten bundesweiten Proteste gegen Rechtsextremismus und rechten Hass. Ausgelöst wurde diese Welle durch die Berichterstattung von "Correctiv", das am 10. Januar ein im November 2023 stattgefundenes Treffen von Vertretern der Alternative für Deutschland (AfD), Rechtsextremisten, einigen CDU-Mitgliedern und Geschäftsleuten offengelegt hatte. Dabei ging es ganz offen um Massenabschiebungen aus Deutschland, um strukturellen Rassismus.

Seitdem gehen in Deutschland Millionen auf die Straße. Ursprünglich, noch Ende vorigen Jahres, hatten die Initiatoren mal mit 2000 Teilnehmenden gerechnet. Dann kam die Enthüllung von "Correctiv". Aus den 2000, die an einem normalen Samstag im Demonstrations-gewöhnten Berlin nicht auffallen würden, wurden mehr als 150.000. Samt Livestream im Netz. Die Zahl der Organisationen, die den Aufruf unterstützten, wuchs rasant auf weit über 1800: darunter keine der politischen Parteien, aber viele große Verbände der Zivilgesellschaft. Keine sehr prominenten Rednerinnen und Redner, aber engagierte Akteure.

Auf der Bühne sprechen während gut drei Stunden knapp zwei Dutzend Leute. Die meisten unter 40, einige unter 30 Jahre alt. Eine der Prominenteren ist Luisa Neubauer, die in Deutschland seit den Klimaprotesten von "Fridays for Future" populär ist. Sie wünscht sich, dass von dieser Demo die Hoffnung auf eine breite gesellschaftliche Bewegung gegen Rechtsextremismus ausgeht, gegen Ausgrenzung und Gewalt. "Hoffnung fällt nicht vom Himmel. Hoffnung ist verdammt harte Arbeit", sagt Neubauer. Und: "Demokratie hat man nicht. Demokratie lebt man."

Demokratie heißt hier auch: viele selbstgebastelte Plakate mit pointierten Aussagen. Oft richten sie sich frontal gegen die rechtspopulistische AfD. Beiträge mit massiver Kritik an der Ampel-Koalition oder der Union finden eher schwächeren Beifall. Bei Forderungen nach mehr Sozialarbeit, besserer Bildungspolitik und einer Stärkung von Initiativen gegen Rechtsextremismus klatschen alle.

Demonstration gegen Rechtsextremismus in Berlin - Demonstrantinnen und Demonstranten mit bunten Plakaten und dem Schriftzug "Es geht uns alle an!" vor dem Reichstagsgebäude
Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem ReichstagsgebäudeBild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Besonderen Applaus ernten Rednerinnen und Redner aus den ostdeutschen Bundesländern, aus Brandenburg, Thüringen, Sachsen. Sie schildern Ängste, Schikanen, Gewalt, aber auch ein neues Bewusstsein der Zivilgesellschaft. "Solidarische Grüße an alle, die heute in Dresden und Glauchau auf die Straße gehen", beschließt der 21-jährige Student und Autor Jakob Springfeld seinen Redebeitrag. "Dort kommt es drauf an."

In beiden sächsischen Städten gibt es eine rechtsextreme Szene. Bei solchen Statements hören die meisten hier sorgfältig zu, auch bei Berichten über wachsenden Druck aus rechtsextremen Milieus, auch offene Gewalt gegen Medienleute und das Team von "Correctiv".

"Freiheit, Demokratie, Pluralität"

In der bunten Menge sind viele Familien mit Kindern, zum Teil drei Generationen. "Die Kinder sollen möglichst früh lernen, was Demokratie bedeutet und was Teilhabe am öffentlichen Leben bedeutet. Wie man sich für eigene Rechte einsetzt", sagt eine Mutter mit zwei kleinen Kindern aus dem Berliner Ortsteil Wedding der Deutschen Welle. Eine ältere Dame sagt auf die Frage nach ihren Beweggründen nur "Freiheit, Demokratie, Pluralität. Dass Berlin Berlin bleibt."

Deutschland Berlin | Demonstration gegen Rechtsextremismus - Migrantinnen und Migranten beteiligen sich am Protest gegen Rechtsextremismus und Ausgrenzung
Migranten mitten in der MenschenmengeBild: Christoph Strack/DW

Und an vielen Stellen in der Menge sind Migranten. Jannis, Lehrer, ist mit einer ganzen Gruppe von Menschen aus Südkorea, Vietnam und China gekommen. Vorne auf seinem Schild steht: "Wir sind Deutschland", auf der Rückseite "Deutschland sind wir". "Wir als Community von Asiatinnen und Asiaten wollen zeigen, dass auch wir zu Deutschland gehören", sagt er der DW. "Wenn wir unsere Position gegen Rechts zeigen, zeigt das, wie sehr wir zu dieser Gesellschaft gehören."

Jannis, der aus China stammt, sagt, er sei seit 20 Jahren in Deutschland, arbeite hier, zahle Steuern. "Und trotzdem habe ich immer das Gefühl, dass ich eine Extraleistung bringen muss, dass ich immer beweisen muss, dass ich zugehörig bin." Eine seiner Mitstreiterinnen trägt ein Pappschild vor dem Bauch "Fachkräfte aus dem Ausland? Offenheit und Vielfalt sind die Voraussetzung".

Bundesweite Proteste

Die Brandmauer in Berlin war die größte Demonstration in Deutschland am Samstag, aber wie erwähnt längst nicht die einzige. An diesem Sonntag werden weitere folgen. Und gerade den Veranstaltungen in Ostdeutschland gilt besondere Aufmerksamkeit. Nicht selten sind es in den kleineren Städten dort die größten Versammlungen seit dem Mauerfall 1989.

Und am Ende sagt der letzte Redner, dass an gleicher Stelle am 8. Juni wieder eine große Demonstration gegen Rechtsextremismus steigen solle. Es ist der Tag vor der Europawahl.