Die Amtszeit Rau - eine Bilanz – DW – 21.05.2004
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Die Amtszeit Rau - eine Bilanz

Marcel Fürstenau21. Mai 2004

Am 30. Juni endet die Amtszeit des deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau. Zuletzt hatte er in seiner "Berliner Rede" den deutschen Eliten die Leviten gelesen. Rau hat aber auch viel für das Miteinander getan.

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Der Lotse geht von Bord: Bundespräsident Johannes Rau verkörperte Werte wie Mitgefühl und Nachdenklichkeit.Bild: AP

Johannes Rau war ein guter Bundespräsident. Viele Deutsche werden dieser Einschätzung widersprechen, viele werden ihr aber auch zustimmen. In der Bevölkerung ist das Staatsoberhaupt beliebt: 70 Prozent sind mit seiner Amtsführung zufrieden, finden Rau sympathisch. Ein üblicher Wert für deutsche Präsidenten, die ihr Amt überparteilich auszuüben haben. Und das ist dem amtierenden Staatsoberhaupt ebenso gut gelungen wie seinen Vorgängern.

Dass auch Rau nur durch wahltaktische, parteipolitische Manöver ins Amt gelangte, ist bedauerlich. Aber auch hier gilt: das war immer so. Und es wird sich erst ändern, wenn die Bürger den Präsidenten respektive die Präsidentin wählen dürfen, der oder die sie im In- und Ausland repräsentiert. Aber das ist ein anderes Thema. Einen ersten bemerkenswerten Akzent setzte Rau unmittelbar nach seiner Wahl am 23. Mai 1999 im frisch restaurierten Berliner Reichstagsgebäude: Er fühle sich als Bundespräsident allen Deutschen, aber auch Mitbürgern mit ausländischem Pass verpflichtet. Ein Amtsverständnis, das über den Wortlaut des Amtseides hinausgeht, der in Artikel 56 des Grundgesetzes formuliert ist - nämlich dem "Wohle des deutschen Volkes" zu dienen. Ein antiquiertes, von der Wirklichkeit längst überholtes Bild in einem Land, in dem rund acht Millionen Menschen ausländischer Abstammung leben, arbeiten, Steuern zahlen, Zuflucht vor Kriegen und Verfolgung suchen.

Ein blasser Präsident?

Johannes Rau war der erste deutsche Präsident, der ganz bewusst alle in Deutschland lebenden Menschen ansprach und seinen Worten auch Taten folgen ließ. Das ehrliche Interesse an Menschen unterschiedlichster Herkunft, Kultur und Religion entspricht seinem Naturell, seiner Neugier - und seiner Überzeugung, dass Vertrauen und Verantwortung Voraussetzung für ein friedliches Miteinander sind. Dafür zu werben, sich dafür einzusetzen, war diesem Bundespräsidenten das wichtigste Anliegen. Allein dafür gebührt ihm Dank, allein deswegen war Johannes Rau ein guter Präsident.

Mit Patienten der Brandenburgklinik durchtrennt Bundespraesident Johannes Rau am Dienstag, 24. Februar 2004, ein Band in der Kantine der Klinik in Bernau
Bild: AP

Warum aber haftet ihm, insbesondere in publizistischen Kreisen in Deutschland, das Image des eher blassen Präsidenten an? Vielleicht unter anderem deshalb, weil der Beginn seiner Amtszeit überschattet war von einer angeblichen Flug-Affäre während seiner Zeit als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Zudem wurde oft und lange über den Gesundheitszustand des mittlerweile 73-jährigen spekuliert. Darüber vergaßen einige womöglich, auf die tatsächliche Amtsführung zu achten. Und die war von erstaunlicher Konsequenz. In seiner fünften und letzten sogenannten 'Berliner Rede' hielt Rau den Eliten in Deutschland vor wenigen Tagen eine Standpauke, wie sie auch sein angesehener Vorgänger Roman Herzog kaum anders, geschweige denn besser hätte halten können. Rau prangerte fehlendes Vertrauen und weit verbreiteten Egoismus in allen gesellschaftlichen Bereichen an, insbesondere bei Wirtschaftsbossen und Politikern. Und sprach damit einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung aus der Seele. Menschen, denen er mit der Kraft und Macht seiner Worte in Zeiten gravierender Veränderungen im günstigsten Fall Orientierung gab.

Der richtige Ton

Das Mindeste, was Rau ihnen immer wieder zu geben versuchte, waren Verständnis und Mitgefühl. Werte, die angesichts innerer und äußerer Veränderungen, ja Bedrohungen wie Massenarbeitslosigkeit und Terrorismus, gefragter sind denn je. Johannes Rau verkörpert diese Werte wie kein zweiter in Deutschland, was wohl auch damit zu tun hat, dass er einer Politiker-Generation angehört, die leider weitestgehend der Vergangenheit angehört. Einer Generation, die noch zuhören konnte, die Geduld hatte, die sich Zeit nahm, die noch langfristige Ziele verfolgte. Mit diesen - in den Augen mancher "altmodischen" - Eigenschaften übte Johannes Rau sein Amt aus.

Er sprach nachdenklich über heikle Themen wie Zuwanderung, Globalisierung oder Genforschung. Auf seinen Reisen nach Afrika, Lateinamerika, Asien oder ins benachbarte Polen war er ein geachteter, gern gesehener und gern gehörter Gast. Und die meisten in Deutschland lebenden Menschen mögen ihn nicht nur, sondern finden, er habe fast immer den richtigen Ton getroffen. Wenn das keine gute Bilanz ist: Johannes Rau war ein guter Präsident.