EU-Kommissare auf dem Prüfstand – DW – 02.10.2014
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EU-Kommissare auf dem Prüfstand

Bernd Riegert2. Oktober 2014

Jeder der 27 Kandidaten muss 45 Fragen beantworten. Die Antworten bleiben bei den Anhörungen im EU-Parlament oft vage. Es kommt eher auf Auftreten und Schlagfertigkeit an: Nur nicht wackeln!

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Ein Schild mit den EU-Sternen und einem großen Fragezeichen (Foto: Picture-alliance/Romain Fellens)
Bild: picture alliance/Romain Fellens

Nur einer der 27 Kandidaten für einen Posten in der neuen EU-Kommission hat nach den ersten Anhörungen im Europäischen Parlament ernsthafte Schwierigkeiten: Der Brite Jonathan Hill, der Kommissar für die Aufsicht über die Finanzmärkte werden soll, muss nachsitzen. In der kommenden Woche wird er noch einmal mit den zuständigen Ausschüssen sprechen müssen. Ein zweite formale Anhörung ist das aber nicht. Der konservative Lord Hill bekommt die Möglichkeit, Zweifel zu zerstreuen, die nach drei Stunden und 45 Fragen auf dem Grill vor allem nach Meinung der Linken und der Grünen geblieben sind. Die bezeichnen Hill als verkappten Lobbyisten der britischen Finanzwirtschaft. Jonathan Hill, der bis vor vier Jahren eine private Firma im Dienstleistungssektor betrieben hat, wies das zurück. "Ich sitze in keinem Aufsichtsrat, halte keine Aktien. Ich vertrete hier nicht die City of London", konterte Hill, ein enger Vertrauter des Europa-kritischen britischen Premiers David Cameron.

Hill sprach sich für eine Regulierung der Finanzmärkte aus, gestand aber zu, dass er sich in viele Fachbereiche noch einarbeiten müsse. "Ich habe noch kein Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre", sagte er. Konservative Abgeordnete lobten ihn. Abgeordnete, die nicht seiner politischen Richtung folgen, lehnen ihn ab.

Jonathan Hill in der Anhörung des Parlaments (Foto:
Noch nicht über den Berg: Jonathan HillBild: picture-alliance/dpa/J. Warnand

Nach diesem parteipolitischen Muster laufen auch die übrigen Anhörungen von so genannten Wackelkandidaten ab. Den ungarischen Kandidaten für Kultur, Bildung und Bürgerschaft, Tibor Navracsics, piesackten hauptsächlich die eher linken und liberalen Abgeordneten. Konservative Abgeordnete stellten die Qualitäten des ehemaligen Ministers im Kabinett von Victor Orban heraus. Navracsics selbst gab zu, dass das Verhältnis zwischen der EU-Kommission und Orban nicht immer einfach gewesen sei. Es gab erbitterten Streit um restriktive Mediengesetze, die Ungarn schließlich änderte. "Das ist jetzt überstanden", so Navracsics. Der zuständige Kulturausschuss hat noch nicht entschieden, ob auch Navracsics nachsitzen muss.

Zeugnisse nächste Woche

Eine endgültige Entscheidung über die künftigen EU-Kommissare trifft sowieso erst die große Zeugniskonferenz in der kommenden Woche. Dann werden sich die Fraktionen des Parlaments noch einmal mit den Ergebnissen der Anhörungen beschäftigen. Die Chefs der Fraktionen werden dann auskungeln, ob ein Kandidat durchgefallen ist. Sollte ein konservativer Politiker abgelehnt werden, müsste wahrscheinlich auch ein Sozialist dran glauben. "Schließlich gibt es im Parlament eine informelle große Koalition. Weder Sozialisten noch Konservative würden hinnehmen, wenn nur einer aus ihren Reihen gehen müsste", sagt ein erfahrener Parlamentarier.

Falls das Parlament ein Bauernopfer wolle, um seine Macht zu demonstrieren, könnte es am Ende einen liberalen Kandidaten treffen. Deshalb wackelt die slowenische Kandidatin Alenka Bratuschek, die zu den Liberalen gezählt wird und keine große Partei hinter sich hat. Die Slowenin steht in der Kritik, weil sie sich als scheidende Premierministerin Sloweniens quasi selbst nominiert hat. Ihre Anhörung ist für den kommenden Montag angesetzt.

"Es gelten die europäischen Regeln"

Im Lager der Sozialisten stand besonders der französische künftige Kommissar für Wirtschaft, Finanzen, Steuern und Zölle, Pierre Moscovici, im Kreuzfeuer der Kritik. Als ehemaliger Finanzminister hatte Moscovici die Kriterien für die Neuverschuldung im Stabilitäts- und Wachstumspakt wiederholt nicht eingehalten. Jetzt soll er für die Überwachung der Haushaltsdisziplin aller EU-Staaten zuständig sein. Viele konservative Abgeordnete sehen darin einen unauflöslichen Widerspruch.

Pierre Moscovici Anhörung im Europaparlament (Foto: Reuters)
Immer die gleichen Fragen: Pierre MoscoviciBild: Reuters/Francois Lenoir

Der deutsche Abgeordnete Bernd Lucke von der AfD, die die Gemeinschaftswährung Euro ablehnt, fragte, warum Frankreich sich nie an die wirtschaftspolitischen Empfehlungen der EU-Kommission gehalten habe. Pierre Moscovici antwortete, er habe sich immer an europäisches Recht gehalten in seiner Zeit als Finanzminister. "Ich bin zwar Franzose, aber ich werde als europäischer Kommissar unparteiisch nach den Regeln arbeiten und dafür sorgen, dass alle Mitgliedsstaaten diese Regeln auch einhalten", sagte Moscovici immer und immer wieder, fast schon ein wenig entnervt. Einen Abgeordneten, der ihm Versagen als Finanzminister vorwarf, fuhr Moscovici an, seine Frage sei konfus. "Aber das ist ja nicht mein Problem", lästerte Moscovici. Der französische Politiker versprach aber den sozialistischen Fragestellern, die Regeln in Zukunft flexibler auszulegen, wenn es dem Wirtschaftswachstum dienlich sei. Flexibilität sei das Gebot der Stunde, so Moscovici, auch wenn unklar blieb, was er genau meinte.

Nach den drei Stunden auf dem Grill, gab sich Moscovici zuversichtlich, sagte aber auch: "Die Fragen waren nicht immer einfach." Inzwischen wurde die vertrauliche Anordnung von Kommissionspräsident Juncker über die Kompetenzverteilung innerhalb der neuen EU-Verwaltungsspitze bekannt. In dem Papier wird der künftige Wirtschaftskommissar Moscovici als einziger im Paragraphen 6 dazu verdonnert, alle Entscheidungen nur gemeinsam mit dem EU-Kommissar Vladis Dombrovskis zu treffen. Moscovici bestritt, dass Vize-Präsident Dombrovskis damit sein Vorgesetzter sei. Der grüne Abgeordnete Sven Giegold meinte dagegen, der linke Franzose werde vom konservativen Dombrovskis "eingemauert", damit die "knallharte" Sparpolitik fortgesetzt werden könne.

Sven Giegold, Mitglied des Europäischen Parlaments (Foto: M. Banchón)
Zum Sparen "eingemauert": Sven Giegold kritisiert MoscoviciBild: DW/M. Banchón

Kommen am Ende alle durch?

Nach ungefähr der Hälfte der erforderlichen Anhörungen, sagte ein erfahrener Abgeordneter der DW, er gehe davon aus, dass alle Kandidaten am Ende durchkommen und das Parlament dem Personalpaket von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 22. Oktober zustimmen werde. Juncker ließ über seine Sprecherin ausrichten, er sei sehr zufrieden. Alle Anwärter hätten bislang ihre hohe Kompetenz unter Beweis gestellt.

Das gilt auch für den künftigen spanischen Umwelt- und Klimaschutz-Kommissar Miguel Arias Canete, der sich in seiner Anhörung in aller Form für Macho-Sprüche über die Intelligenz von Frauen im Europawahlkampf entschuldigte. "Das war eine Dummheit", so Canete. Der konservative Politiker steht auch wegen angeblich zu großer Nähe zur Öl-Industrie in seinem Heimatland in der Kritik. Sein Schwager ist in der Ölindustrie tätig. "Der gehört nicht direkt zur Familie. Ich sehe keinen Interessenkonflikt", versuchte Canete zu beschwichtigen.

Nächste Woche wird die fachliche Befragung der übrigen Kandidaten fortgesetzt. Kein Mitgliedsland in der EU kennt übrigens eine so gründliche Prüfung von Kandidaten für die Exekutive. In Deutschland etwa werden Minister einfach auf Vorschlag der Regierungschefin ernannt.