Die Aktivisten für Nachhaltigkeit – DW – 14.05.2013
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Die Aktivisten für Nachhaltigkeit

Naomi Conrad14. Mai 2013

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung fordert von der Politik mehr Entschlossenheit bei der Energiewende und dem Öko-Landbau: Die Politik sei zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Aktivisten fühlten sich allein gelassen.

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Merkel beim Rat für Nachhaltige Entwicklung (Foto: imago/Christian Thiel)
Bild: Imago/Christian Thiel

Am Eingang zur Konferenzhalle posiert eine Frau für einen Fotografen. Ihr schrilles Kleid knistert und raschelt im kühlen Wind, der am Dienstag (14.05.2013) durch Berlin pustet: Der lange Rock und der Hut sind aus vielen bunten Plastiktüten zusammengenäht. In der Halle werden Teilnehmer mit Bio-Rhabarbersaft und Schwarzbrot mit Schnittlauch-Aufstrich begrüßt und die Bundeskanzlerin trägt heute ein türkis-grünes Jackett: Die Zeichen stehen auf Öko und Bio, wenn sich der Rat für Nachhaltige Entwicklung zu seiner 13. Jahreskonferenz trifft, um die Politik in Sachen Nachhaltigkeit zu beraten.

Merkel will umfassenderen Wachstumsbegriff

Vor 300 Jahren habe sich ein schlauer Mensch überlegt, "dass man nur so viel Holz schlägt, wie es nachwachsen kann", so resümiert Bundeskanzlerin Angela Merkel den Begriff der Nachhaltigkeit vor den versammelten Gästen in Berlin: Angesichts der massiven Abholzung in Sachsen formulierte der Deutsche Carl von Carlowitz im 18. Jahrhundert den Grundsatz, nicht mehr zu verbrauchen, als regeneriert werden kann. Heute bezieht sich Nachhaltigkeit neben der Umwelt auch auf viele andere Lebensbereiche, von den sozialen Systemen eines Landes, bis hin zur Finanz- und Wirtschaftspolitik. So spricht sich die Bundeskanzlerin für einen umfassenderen Wachstumsbegriff aus. Künftig sollten die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes auch Aspekte der Lebensqualität einbeziehen. Denn qualitatives Wachstum gehe über rein materiellen Wohlstand hinaus.

Portrait-Bild Merkel (Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Merkel fordert auch einen stärkeren internationalen Einsatz für den KlimaschutzBild: Reuters/Fabrizio Bensch

Bei der Veranstaltung stellt die Kanzlerin das Logo einer Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung vor - eine Stelle, die 2012 geschaffen wurde. Der Applaus ist verhalten. Die Stelle soll künftig dafür sorgen, dass Bund und Länder sozialer und ökologischer investieren. "Ich finde, das ist schon ein Fortschritt. Vor ein paar Jahren hätte man das so nicht gemacht."

Alltagspolitik verdrängt Nachhaltigkeitsthemen

Ein erster Schritt, aber noch lange nicht der große Fortschritt, den Marlehn Thieme fordert. Sie ist die Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, der 2001 von der Bundesregierung berufen wurde. Seine 15 Mitglieder - Vertreter des öffentlichen Lebens - haben die Aufgabe, die Politik in Sachen Nachhaltigkeit zu beraten – und auch zu kritisieren. "Es darf nicht angehen, dass wir große Themen in den Fängen von Alltagspolitik und Zuständigkeiten unsichtbar machen." Genau das passiere aber derzeit mit der Energiewende.

Portrait-Bild Thieme (Foto: Rat für Nachhaltige Entwicklung)
Thieme ist seit 2010 Vorsitzende des RatesBild: picture-alliance/dpa

Außerdem "degeneriere" der ökologische Landbau: Da es "deutlich besser dotierte Subventionen" für Energiepflanzen gebe, rechne sich der Bioanbau deswegen praktisch nicht mehr für die Bauern. Die Politik müsse vorbildliche Maßstäbe setzen und das öffentliche Bewusstsein für Nachhaltigkeit stärken - und sich in Europa für die Nachhaltigkeit einsetzen. "Europa braucht eine starke Nachhaltigkeitsstrategie, und die wird in Brüssel nur so stark sein können, wie wir sie hier bei uns machen."

Reform des Emissionshandel gefordert

Kritik auch von Seiten des Rates an der deutschen Klimapolitik: "Es kann nicht sein, dass die Kosten der Eurorettung ins Unermessliche steigen, während der Preis für die Emissionszertifikate von Kohlendioxid in die Bedeutungslosigkeit abfällt." Sie sei mit der deutschen Wirtschaft im Gespräch über eine Reform des Emissionshandels, erklärt Merkel. Aber sie habe bislang die Wirtschaft noch nicht überzeugen können. Mit dem Handel von CO2-Zertifikaten, also "Verschmutzungsrechten", will die EU den Ausstoß an giftigem Kohlenstoff verringern: Unternehmen erhalten nur eine begrenzte Menge an Zertifikaten, die einen Ausstoß einer Tonne CO2. Wer mehr ausstoßen will, kann die Emissionsrechte einer anderen Firma abkaufen. Anfang des Jahres scheiterte ein Versuch der Europäischen Kommission, die Anzahl der Zertifikate zu verringern – und damit zu verteuern.

Aktivisten fühlen sich von Politik allein gelassen

Zum Abschied wünscht die Bundeskanzlerin noch ein nachhaltiges Arbeiten, "bei der Nutzung ihrer eigenen, persönlichen Ressourcen". Sie macht die Bühne frei für zwei Rapper, die von Massenproduktion und Chemikalien singen: "Guten Appetit, wünscht die Industrie!" Die Überzeugungsarbeit für die Nachhaltigkeit wird wohl vor allem von Aktivisten wie ihnen kommen, fürchtet Thieme: Die Politik sei momentan zu sehr mit sich selbst beschäftigt und zu wenig mit der Zukunft, kritisiert sie, Aktivisten fühlten sich von der Politik alleingelassen.

Teilnehmer des Rates für nachhaltige Entwicklung in Berlin (Foto: Rat für Nachhaltige Entwicklung)
Kleine Schritte in Richtung NachhaltigkeitBild: Rat für nachhaltige Entwicklung

Louisa Kistemaker zuckt die Schultern. Eine integrierte Nachhaltigkeitspolitik, die in der Gesetzgebung verankert ist, "wäre schon schön". Die 27-Jährige engagiert sich für die European Water Initiative, die zusammen mit anderen Nachhaltigkeitsprojekten vom Rat ausgezeichnet wurde. Sie hat kleine Plastikgläser vor sich aufgereiht: Ein Blindwassertest. Sie will damit beweisen, dass es kaum einen geschmacklichen Unterschied zwischen Leitungs- und Flaschenwasser gibt. Das letztere verbrauche mehr Ressourcen in der Herstellung und im Transport, dabei sei Trinkwasser in Deutschland viel günstiger und eines der am besten kontrolliertesten Lebensmittel: "Es ist eigentlich völlig unverständlich, dass Flaschenwasser getrunken wird!" Sie schüttelt den Kopf.

Eigentlich könnte die Regierung da mal mit gutem Beispiel voran gehen, findet sie, und bei Konferenzen auch mal Trinkwasser reichen: "Also, Nachhaltigkeit eben."