Kirche und AfD: "Bei der Diakonie fehl am Platz" – DW – 15.04.2024
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Kirche und AfD: "Bei der Diakonie fehl am Platz"

15. April 2024

Wie geht ein kirchlicher Wohlfahrtsverband mit AfD-nahen Mitarbeitern um? Ein Interview mit dem Chef der Diakonie, Rüdiger Schuch.

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Deutschland Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland
Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie DeutschlandBild: Thomas Meyer/Diakonie

Die großen Kirchen in Deutschland haben sich in den vergangenen Monaten entschieden gegen Rechtsextremismus und gegen völkischen Nationalismus der "Alternative für Deutschland" (AfD) gestellt. Gibt es AfD-Sympathisanten in der kirchlichen Mitarbeiterschaft? Einschätzungen von Rüdiger Schuch, dem Präsidenten der Diakonie, dem Wohlfahrtsverband der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). 

Deutsche Welle: Herr Schuch, als Präsident der Diakonie Deutschland stehen Sie an der Spitze von fast 630.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wie steht es da mit eigenen Kräften, die zur AfD tendieren? Kommt das vor?

Rüdiger Schuch: Wie die beiden großen Kirchen haben auch wir uns als Diakonie zum Rechtsextremismus und zur AfD positioniert. Und auch für uns gilt, dass wir grundsätzlich eine Unvereinbarkeit zwischen dem christlichen Menschenbild, an dem sich unsere Arbeit ausrichtet, und Positionen rechtsextremistischer Strömungen und Parteien sehen. Ich glaube, dass das in dem ein oder anderen Fall problematisch ist. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass wir in der Diakonie in einigen Fällen auch Menschen haben, die sich menschenfeindlich und rechtsextrem äußern.

DW: Sind das Einzelfälle? Oder mehr?

Schuch: Wir erheben dazu keine Daten oder Zahlen. Deshalb kann ich Ihnen nicht sagen, wie groß diese Zahl ist und wie sehr das Thema die jeweiligen Einrichtungen im Moment beschäftigt. Aber es ist schon so, dass das Thema über unsere Mitglieder an uns herangetragen wird.

DW: Wer ist dafür zuständig, eine problematische Situation anzugehen? Sie als Verbandsspitze – oder die konkreten Verantwortlichen vor Ort?

Schuch: Verantwortlich sind die Träger vor Ort. Wenn das Problem in einer Einrichtung auftritt, ist die Einrichtungsleitung gefordert. Wir als Bundesverband beschäftigen uns grundsätzlich mit dem Umgang mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, wir geben Empfehlungen an unsere Landes- und Fachverbände und über diese dann auch an die jeweiligen Träger. Klar ist: Alle diakonischen Einrichtungen leiten dieselben Werte. Die Leitbilder der einzelnen Einrichtungen bringen deutlich zum Ausdruck, dass das christliche Menschenbild für uns und unsere Arbeit prägend ist. Und zum christlichen Menschenbild gehört die Annahme eines jeden Menschen, ganz gleich, welche Religion, welche Nationalität oder sexuelle Orientierung er oder sie hat. Rassismus entspricht selbstverständlich nicht dem christlichen Menschenbild.

DW: Aber was sollte dann im konkreten Fall passieren?

Schuch: Wenn Menschen sich menschenfeindlich äußern, müssten sie eigentlich selbst spüren, dass die Einrichtung, in der sie tätig sind, nicht zu ihrem Denken passt und dass sie da fehl am Platz sind. Umgekehrt ist es wichtig, dass die Einrichtungsleitungen solche Äußerungen wahrnehmen, die Mitarbeitenden darauf ansprechen und inhaltlich damit konfrontieren. Sie müssen ihnen deutlich machen, wofür die Diakonie und die konkrete Einrichtung stehen. Menschen, die sich uns als Klientinnen und Klienten anvertrauen, dürfen keine Angst haben, dass Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Diakonie womöglich menschenfeindlich mit ihnen umgehen oder menschenfeindlich denken. Das wäre ein Unding.

DW: In Ostdeutschland gibt es Regionen, wo man bei den anstehenden Wahlen Ergebnisse von 30 Prozent oder mehr für die AfD für möglich hält. Da können Akteure in beiden Kirchen, seien es Geistliche, seien es Kräfte in einem sozialen Beruf, durchaus unter Druck kommen…

Demo gegen Rechtsextremismus vor dem Reichstag in Berlin
Schuch beteiligte sich in den vergangenen Monaten in Berlin auch als Redner an einer der großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus.Bild: dts Nachrichtenagentur/picture alliance

Schuch: Ja. Es beeindruckt mich sehr, dass die Evangelische Kirche Mitteldeutschland und die Diakonie in Mitteldeutschland mit ihrer Aktion "Herz statt Hetze" und der Plakatierung an Kirchengebäuden und an Gebäuden der Diakonie ein klares Statement setzen. Dazu braucht es durchaus Mut. Ein zweiter Punkt ist mir wichtig: Wenn Sie davon sprechen, dass die AfD laut Umfragen ein Potenzial von rund 30 Prozent hat, dann heißt das noch nicht, dass diese 30 Prozent allesamt tatsächlich extremistische, rechtsextreme Positionen haben. Ich habe die Hoffnung, dass wir viele Menschen für die Demokratie zurückgewinnen können. Wir müssen mit den Unzufriedenen im Gespräch sein und heraushören, was sie dazu bringt, ihre Stimme möglicherweise einer extremistischen Partei zu geben.

DW: Die Hinwendung zu Populismus und zu extremen Positionen ist ja in vielen Ländern ein Trend. Die Demokratie steht unter Druck. Da wird es schwerer, die Rede vom christlichen Menschenbild hochzuhalten und für Demokratie und Pluralismus einzutreten. Wie empfinden Sie diese Situation?

Schuch: Zunächst sind die Politik und die demokratischen Parteien in Deutschland und in Europa gefordert. Ihnen muss es sehr viel besser als bisher gelingen, den Menschen deutlich zu machen, dass sie Lösungskonzepte für die großen Herausforderungen der Gegenwart haben. So lässt sich das Vertrauen der Menschen in die demokratischen Parteien und in die Demokratie zurückgewinnen. Auch uns als Diakonie kommt dabei – wie den anderen Wohlfahrtsverbänden – eine wichtige Rolle zu.

Denn mit unserer Arbeit unterstützen wir Menschen, die auf Hilfe, Begleitung und Betreuung angewiesen sind. Durch unsere konkrete Hilfe spüren sie, dass sie in dieser Gesellschaft angenommen sind und sich nicht abgehängt fühlen müssen. Sie können sich auch wegen unserer Arbeit für diese Gesellschaft entscheiden. Beides ist wichtig, um die Demokratie zu bewahren oder zu stabilisieren: dass die Politik vertrauenswürdig handelt und die großen Fragen nicht scheut; und dass sich Menschen nicht abgehängt fühlen. Ob Diakonie oder Caritas oder ein anderer Wohlfahrtsverband: Wir nehmen die Menschen ernst und sind deshalb mit unserer Arbeit Stützen der Demokratie.

Interview: Christoph Strack

Rüdiger Schuch (55), evangelischer Theologe, ist seit 1. Januar 2024 Präsident des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Diakonie hat nach eigenen Angaben bundesweit knapp 630.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.