"Millennium - bitte, was?!" – DW – 29.08.2010
  1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Millennium - bitte, was?!"

29. August 2010

Die UNO hat sich mit den Millennium- Entwicklungszielen viel vorgenommen. Sie wünscht sich für ihre Arbeit eine starke Lobby. In Deutschland kennt allerdings kaum jemand die Entwicklungsziele. Warum?

https://p.dw.com/p/OvNa
Schüler in Ruanda (Bild: Christine Harjes)
Eines der Entwicklungsziele: Grundschulbildung für alleBild: DW/Christine Harjes

"Primär ist es erstmal wichtig, dass die Leute überhaupt wissen, was die Millennium-Entwicklungsziele sind. Viele Leute wissen nicht, dass es das gibt", sagt Pola Roy, Schlagzeuger der Band "Wir sind Helden" in einem UN-Werbespot für die Millennium-Entwicklungsziele. Der Musiker spricht ein wichtiges Problem an: Viele Menschen in Deutschland haben noch nie von dem ehrgeizigen UN-Projekt gehört. Dabei gibt es die acht Ziele schon seit zehn Jahren – bis 2015 will die Weltgemeinschaft unter anderem die Armut halbieren, allen Kindern weltweit eine Grundschulbildung garantieren und dafür sorgen, dass alle HIV/AIDS-Kranken Medikamente bekommen.

Werbetour für die Entwicklungsziele

Renée Ernst versucht die Ziele in der deutschen Öffentlichkeit bekannt zu machen. Sie leitet die deutsche UN-Kampagne für die Millennium-Entwicklungsziele – oder kurz MDGs für Millennium Development Goals. Renée Ernst tingelt durch Städte, spricht mit Schülern und nimmt an Podiumsdiskussionen teil. Mit der Kampagne im Internet richtet sich die UNO überwiegend an junge Deutsche. Die Millennium Development Goals zu vermarkten ist keine leichte Aufgabe. "Es ist so, dass viele Menschen mit diesem Begriff nichts anfangen können. Das sieht man auch in Umfragen", sagt Renée Ernst. Aber sie ist trotzdem optimistisch: "Sobald man anfängt, Begriffe wie Hunger und Armut zu nennen, fällt den Leuten etwas dazu ein. Das ist mittlerweile bei vielen Menschen ins Bewusstsein gerückt." Allerdings, so bedauert Ernst, gehörten solche Themen noch immer nicht ins Alltagsgespräch.

Arme Kinder in Guinea (Bild: Bob Barry)
Halbierung der Armut als EntwicklungszielBild: DW

Mehr Präsenz im Alltag – das versucht die UN-Kampagne zum Beispiel mit ihren Promi-Videos zu erreichen. "Wir-sind-Helden"-Sängerin Judith Holofernes erklärt dann auch in dem Clip, warum die Millennium Development Goals jeden etwas angehen: "Ich glaube, das Wichtige ist, sich darüber bewusst zu werden, dass die Armut an der Wurzel aller weltweiten Probleme ist. Das heißt, wenn wir gegen Armut kämpfen, kämpfen wir gegen Kriege, kämpfen wir gegen Umweltzerstörung, kämpfen wir gegen Unterdrückung, gegen Ungleichheit."

Kriege, Umweltzerstörung oder Ungleichheit, die auch Auswirkungen in Deutschland haben. Zum Beispiel, wenn deutsche Soldaten in Afghanistan oder im Kongo eingesetzt werden, wenn Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten nach Europa kommen oder wenn die CO2-Werte steigen, weil Regenwälder abgeholzt werden. Aber genau dieses Bewusstsein für globale Probleme fehlt in der deutschen Öffentlichkeit, sagen viele Entwicklungsexperten "Den meisten Menschen ist das, was in Afrika, Lateinamerika oder Asien bearbeitet wird, zu weit weg", sagt Dirk Messner, der Leiter des deutschen Instituts für Entwicklungspolitik DIE in Bonn. Entwicklungshilfe werde nicht zum Thema gemacht. "Die meisten Menschen empfinden das als etwas, was moralisch interessant und wichtig ist. Man streitet nicht dagegen. Aber wir bekommen auch keine Mobilisierung hin, die Sprünge nach vorn schaffen könnte."

Einfaches Konzept

Entwicklungspolitik hat kaum eine Lobby. Dabei haben die Themen der Millennium Development Goals gegenüber den allgemeinen Entwicklungsthemen einen großen Vorteil, sagt Dirk Messner: "Ich glaube, die MDGs werden in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Einfachheit dieses Konzeptes – es geht um die Halbierung der Armut, um die Halbierung der Kindersterblichkeit – hat dazu beigetragen, Menschen plausibel zu machen, was Entwicklungspolitik überhaupt bewirken soll."

Wir sind Helden (Bild: dpa)
Bekannte Werbepartner: "Wir sind Helden"Bild: picture-alliance/dpa

Wie bekannt die Millenniumentwicklungsziele in Deutschland aber tatsächlich sind, weiß niemand genau. Entsprechende Statistiken gibt es nicht. Um möglichst viele Menschen über die Entwicklungsziele der UNO zu informieren, setzen die UN-Kampagne und Organisationen wie der Bundesverband deutscher NGOs, VENRO, auf den Promi-Faktor. VENRO hat für die Kampagne "Deine Stimme gegen Armut" unter anderen Herbert Grönemeyer verpflichtet, bei der UN-Kampagne kommen neben der Band "Wir sind Helden" oder Sänger "Gentleman" noch viele andere zu Wort. Ole Seidenberg von der Berliner Werbeagentur NEST hält dieses Konzept für sinnvoll: "Das sind verschiedene Kanäle, über die man verschiedene Menschen erreicht. Bei einem prominenten Gesicht gucken Menschen hin, die sich sonst gar nicht für diese Themen interessieren. Aber dann ist es wichtig, dass man über die Prominenz-Ebene hinaus auch die Inhalte vermittelt."

Zu abstrakt

Die UN-Kampagne trägt auch den Namen "UN-Kampagne". Unter diesem Label versucht die UNO, die Inhalte der Millennium Development Goals zu vermitteln. Viel zu abstrakt, viel zu weit weg vom deutschen Alltag, findet Ole Seidenberg. "Ich würde es nicht Kampagne nennen. Ich hätte das in die acht Ziele aufgedröselt und dann vielleicht acht Menschen vorgestellt, die von jeweils einem dieser Probleme betroffen sind. Ich hätte die Inhalte nach vorne gestellt und das Label nach hinten."

Kinder im Senegal (Foto: Christine Harjes)
Die UNO fordert ChancengleichheitBild: DW/C.Harjes

Fünf Jahre bleiben der UNO noch, um ihre acht Ziele zu erreichen. Fünf Jahre, in denen auch NGOs und die UN-Kampagne weiter versuchen werden, die deutsche Öffentlichkeit für die Entwicklungsziele zu interessieren. Renée Ernst von der UN-Kampagne hat dabei auch ihr ganz persönliches Ziel vor Augen: "Mein größter Wunsch ist, dass die Menschen immer mehr merken, wie die Welt zusammen rückt und dass es in unser aller Interesse ist, dass sämtliche Menschen ein Leben in Würde führen können. Wir müssen uns der Verantwortung bewusst sein, die wir haben."

Autorin: Christine Harjes
Redaktion: Esther Broders