Flug ET 302: Der Druck auf Boeing wächst – DW – 04.04.2019
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Flug ET 302: Der Druck auf Boeing wächst

Andreas Spaeth
4. April 2019

Nach dem Absturz der äthiopischen Boeing 737 Max liegen nun erste Erkenntnisse vor, die eine Reihe weiterer Fragen aufwerfen. Vor allem in Richtung Boeing. Von Andreas Spaeth.

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Äthiopian Airlines Boeing  737 Max 8
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Ayene

Flugunfall-Untersuchungen sind nahezu immer langwierig und kompliziert und bergen oft Überraschungen. Eine solche gab es auch am Donnerstag in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Denn was als Pressekonferenz der Transportministerin und der Unfallermittler zur Vorlage eines vorläufigen Untersuchungsberichts zum Absturz einer Boeing 737 Max 8 am 10. März angekündigt war endete -zumindest vorläufig - ohne die Veröffentlichung eines solchen Berichts. Ein von Branchenexperten als ungewöhnlich empfundener Vorgang. Die Transportministerin bestätigte allerdings vorangegangene Medienberichte, wonach es zwischen dem Absturz von Flug ET320 im März und dem Unfall eines baugleichen Flugzeugs der indonesischen Lion Air im Oktober 2018 erhebliche Parallelen gibt.

Klare Ansage an Boeing

Demnach fand sich das äthiopische Flugzeug in "wiederholten, ungewollten Sturzflugbedingungen mit der Nase nach unten". Ministerin Dagmawit Moges  bestätige auch, dass die Piloten von Ethiopian Airlines allen Vorgaben für diesen Fall, die Boeing und die FAA nach dem Lion Air-Absturz herausgegeben hatten, befolgt hätten. "Unglücklicherweise ließ sich auch damit das Flugzeug nicht wieder unter Kontrolle bringen." Die Ministerin empfahl, dass das der Hersteller das Flugsteuerungssystem der Boeing 737 Max 8 überprüfen solle und die US-Luftfahrtbehörde FAA sicherstellen müsse, dass Änderungen an den Systemen ausreichend seien, bevor das derzeit gültige weltweite Flugverbot aufgehoben würde.

Äthiopien Transportministerin Dagmawit Moges
Äthiopiens Transportministerin Dagmawit Moges auf der Pressekonferenz in Addis AbebaBild: picture-alliance/AA/M. Wondimu Hailu

Erst nach der Pressekonferenz bestätigte sie gegenüber Journalisten explizit, dass das automatische Trimmungssystem MCAS, dessen Fehlfunktion genau wie unterbliebenes Pilotentraining zu dieser Funktion für den Lion-Air-Absturz mitverantwortlich gemacht wird, auch auf Flug ET320 aktiviert war. "Die Piloten haben das MCAS an- und ausgeschaltet, aber ich kann nicht sagen wie oft", so die Ministerin. Boeing hatte die Einführung von Software-Updates für die 737 Max und das MCAS-System für die nächsten Wochen zugesagt. Erst am Mittwoch (03.04.2019) hatte Boeing Fotos veröffentlichte, die zeigen, das Vorstandschef Dennis Muilenburg auf einem Testflug für die neuen Verfahren selbst mit im Cockpit saß.

Ethiopien Airlines sieht sich bestätigt

Auch Ethiopian Airlines gab heute eine Stellungnahme heraus. "Wir sind sehr stolz darauf, dass unsere Piloten den vorgesehenen Notfallverfahren gefolgt sind und auf das hohe Niveau ihres professionellen Verhaltens in einer solch extrem schwierigen Situation", betonte Airline-Chef Tewolde Gebremariam. Die Fluggesellschaft hatte sich zuvor massiv gegen Berichte verschiedener US-Medien gewehrt, nach denen die Ethiopian-Piloten angeblich nicht für den Umgang mit der 737 Max 8 geschult gewesen seien. Die US-Luftfahrtbehörde FAA teilte heute lediglich mit, wenn man mehr über den Unfallhergang erfahre, werde man die erforderlichen Konsequenzen ziehen.

Die FAA war im Zusammenhang mit dem Absturz von Flug ET320 massiv in die Kritik geraten, weil sie die Boeing 737 Max 8, Boeings bestverkauftes Flugzeug aller Zeiten, partout nicht grounden wollte, während dies die Behörden nahezu überall in der Welt bereits eigenmächtig getan hatten. Auch die Delegation behördlicher Aufsichtsfunktionen an den zu überwachenden Hersteller Boeing selbst sowie die Vorgänge rund um die Zulassung der Boeing 737 Max-Flugzeugfamilie haben in den USA sogar zur Einleitung eines Strafverfahrens durch das Justizministerium geführt.

In Branchenkreisen werden die heutigen Aussagen so interpretiert, dass der internationale Druck auf Boeing und die FAA zunehmen dürften, weil sich jetzt vermutlich belegen lässt, dass den Piloten und Ethiopian Airlines kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Beklagt wird allerdings, dass viele wichtige Daten zu Flug ET302 bisher nicht öffentlich bekannt sind, deren Veröffentlichung sich die Branche im vorläufigen Untersuchungsbericht erhofft. Auch für den Lion-Air-Absturz wird der endgültige Bericht erst im August dieses Jahres erwartet, während der Abschlussbericht zu ET302 noch bis zu einem Jahr auf sich warten lassen könnte.

Southwest Airline Boeing 737 Max
Am Boden: Geparkte 737 Max von SouthwestBild: Getty Images/M. Tama

Bild vom Absturz wird genauer

Unterdessen berichtet die New York Times, dass sich die Luftfahrtbehörden und Unfallermittler in Indonesien von Boeing und der FAA nach dem Lion-Air-Absturz im Stich gelassen und nur mangelhaft unterstützt und informiert fühlten. Es herrsche ein Klima des Misstrauens und der Schuldzuweisung, erst nach dem Ethiopian-Absturz hätten Boeing und die FAA ihre Haltung geändert und sich erstmals bereitgefunden, den indonesischen Behörden die Funktionsweise von MCAS genauer zu erläutern.

Flugexperten skizzieren inzwischen auch ein genaueres Bild, wie der Absturz von ET320 abgelaufen sein könnte, trotz noch fehlender Daten. Eine der entscheidenden Fragen zum Verhalten der äthiopischen Piloten war anfangs, warum sie MCAS nicht abgeschaltet haben. Jetzt, wo feststeht, dass das System offenbar tatsächlich gemäß den damals aktuellen Anweisungen deaktiviert wurde, zeigt sich bei Analysen und Simulatortests, dass unter den herrschenden Bedingungen die dann vorgesehene manuelle Trimmung mit den beiden im Cockpit zwischen den Piloten angebrachten Rädern unmöglich war, weil der Luftstrom am beweglichen Heckruder zu stark war, um dessen Position so zu verändern, dass sich die Flugzeugnase anhebt.

Auch im Fall von ET302 spielten vermutlich falsche Messdaten des bisher einzigen dafür genutzten Sensors für den Anstellwinkel eine Rolle. Die Vermutung ist, dass dieser vor dem Start durch einen Fremdkörper auf der Piste oder durch Vogelschlag beschädigt worden sein könnte. "Für einen Fremdkörper als Auslöser haben wir keine Belege gefunden", sagte dazu heute Chefermittler Amdeye Ayalew, auch für strukturelle Designprobleme des Flugzeugs gebe es keine Anhaltspunkte.

Analysten erwarten noch im April genauere Aussagen über die finanziellen Folgen der 737 Max-Krise für Boeing. Am 9. April wird der Hersteller Zahlen zu Bestellungen und Auslieferungen im ersten Quartal vorlegen, die durch das Flugverbot für den Bestseller beeinträchtigt sein werden. Am 24. April legt Boeing dann Finanzzahlen für das erste Quartal vor, am 29. findet am Firmensitz Chicago die Jahreshauptversammlung statt. Bereits jetzt gehen Finanzexperten von rund zwei Milliarden US-Dollar an Kosten für Boeing allein durch das Grounding aus, die mit jedem weiteren Tag ansteigen. Hinzukommen werden auch erhebliche Entschädigungsleistungen für Airlines, die ihre bisher rund 370 ausgelieferten Flugzeuge derzeit nicht nutzen können.