Straßenproteste: AfD verliert Landratswahl in Thüringen – DW – 29.01.2024
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Straßenproteste: AfD verliert Landratswahl in Thüringen

29. Januar 2024

Haben die bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus Einfluss auf das Wahlergebnis der AfD gehabt? Experten sehen erste Anzeichen dafür. Die Stichwahl um ein Landratsamt in Ostthüringen gewann ein CDU-Mann.

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Demonstranten mit Schildern, auf denen unter anderem steht: " AfD-Anhänger sind Feinde und Gegner der Demokratie"
Protestkundgebung gegen die AfD und Rechtsextremismus am 20. Januar in Erfurt, der Landeshauptstadt Thüringens Bild: Paul-Philipp Braun/epd-bild/picture alliance

Die Niederlage der rechtsextremistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD)  bei der Stichwahl in Thüringen lässt sich aus Sicht von Experten auch auf die bundesweiten Demonstrationen der vergangenen Tage zurückführen. Viele Anhänger von SPD oder der Partei Die Linke seien sicher stark motiviert gewesen, in der Stichwahl CDU zu wählen, um - wie bei den Straßenprotesten gefordert - gemeinsam die Bedrohung der Demokratie durch Rechtsextreme zu verhindern, sagte der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz der Deutschen Presse-Agentur. Die Thüringer AfD wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet.

Christian Herrgott spricht nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses zu Reportern
Christian Herrgott (CDU) ist der neue Landrat im Saale-Orla-Kreis in Ostthüringen Bild: Bodo Schackow/dpa/picture alliance

Im Saale-Orla-Kreis in Ostthüringen hatte der AfD-Kandidat Uwe Thrum am Sonntag die Stichwahl um das Amt des Landrats gegen den CDU-Politiker Christian Herrgott verloren. Der CDU-Mann gewann mit 52,4 Prozent der Stimmen. Thrum, der beim ersten Wahlgang vor zwei Wochen noch deutlich geführt hatte, erhielt 47,6 Prozent. Die AfD hatte auf den deutschlandweit zweiten Landratsposten nach Robert Sesselmann in Sonneberg, ebenfalls in Thüringen, gehofft.

Die Wahlbeteiligung im Saale-Orla-Kreis lag bei 68,6 Prozent - und damit um drei Prozentpunkte höher als beim ersten Durchgang.  

Uwe Thrum
AfD-Kandidat Uwe Thrum hat die Stichwahl verloren Bild: Bodo Schackow/dpa/picture alliance

Der Politikwissenschaftler Torsten Oppelland von der Universität Jena sagte, die höhere Wahlbeteiligung in der Stichwahl in dem ostdeutschen Bundesland deute auf einen Mobilisierungseffekt hin. "Da kann die Demonstrationswelle durchaus einen Ausschlag gegeben haben."

Seit den Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv Anfang Januar über ein Treffen radikaler Rechter und ihre Absichten gehen deutschlandweit immer wieder Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Auch am vergangenen Wochenende protestierten etwa in Düsseldorf, Hamburg und vielen weiteren Städten Zehntausende Bürger.

Demonstranten halten Schilder hoch auf denen unter anderem steht: "Kein Platz für Nazis", "EkelhAfD", "Der wachsende Widerstand"
Zehntausende Menschen demonstrieren am Samstag in Düsseldorf gegen die AfD, Rechtsextremismus und für den Schutz der Demokratie Bild: Thilo Schmuelgen/REUTERS

Thüringens Linke-Landeschefin Ulrike Grosse-Röthig geht ebenfalls davon aus, dass die Demonstrationen einen Einfluss auf das Wahlergebnis in ihrem Bundesland hatten. Die Proteste hätten den Effekt, dass sich Menschen mit dem Thema auseinandersetzten, die sonst die schweigende Mehrheit seien. Außerdem zeige das Ergebnis, "dass es nicht unumkehrbar ist, dass die AfD hier überall durchmarschiert".

Skeptischer zeigte sich ein Vertreter der Zivilgesellschaft vor Ort. "Es hätte klarer ausgehen müssen", sagte ein Sprecher des Bündnisses "Dorfliebe für alle", das im Kreis gegen die Rechtspopulisten mobilisierte. Das Ergebnis zeige, wie groß die Spaltung sei und wie viel Arbeit noch vor dem Bündnis liege. "Denn die 48 Prozent AfD-Wähler sind ja da."

Göring-Eckardt: Es gilt, die Demokratie zu verteidigen

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages in Berlin, Katrin Göring-Eckardt, sieht sich ermutigt  durch die anhaltenden Proteste gegen rechts. "Die Demonstrationen machen Mut - im ganzen Land, aber vor allem auch in Ostdeutschland", sagte die aus Thüringen stammende Grünen-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Dort haben wir 1989 die Demokratie erkämpft, jetzt gilt es, sie erneut zu verteidigen."

Reem Alabali-Radovan am 19. Januar am Rednerpult im Bundestag
Reem Alabali-Radovan, die Staatsministerin für Integration, am 19. Januar im BundestagBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, hofft, dass sich die bundesweiten Proteste gegen rechts auch im Alltag niederschlagen. Die Sorge vor Rechtsextremismus sei in der Mehrheit der Gesellschaft angekommen, sagte die Staatsministerin dem digitalen Medienhaus Table.Media mit Blick auf die hohe Beteiligung an den Demonstrationen. Wichtig seien aber jetzt zwei Dinge: "Zunächst müssen wir die Perspektive der Betroffenen verstehen, sie ermutigen und ihnen vor allem zeigen, dass Solidarität jetzt nicht nur bei ein paar Wochen bleibt. Dann müssen wir dafür sorgen, dass sich die Solidarität der Proteste auch im Alltag zeigt", sagte Alabali-Radovan. Sie wünsche sich, dass jede und jeder Einzelne mit der Familie, im Freundeskreis oder im Verein aktiv ins Gespräch gehe und bei Rassismus und Verschwörungstheorien einschreite.

Weitere Wahlen in Thüringen - AfD in Umfragen vorne 

Die Wahl im Saale-Orla-Kreis galt als Stimmungstest für die anstehenden Urnengänge in Thüringen. Im Mai werden viele Landrats- und Oberbürgermeisterposten neu besetzt. Am 1. September wird der Landtag neu gewählt. Die AfD liegt in Umfragen weit vorn, zuletzt erreichte sie stets Werte von mehr als 30 Prozent. Ähnlich sieht es in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Brandenburg aus, wo im Herbst ebenfalls Landtagswahlen anstehen.

Der ländlich geprägte Saale-Orla-Kreis liegt im Südosten Thüringens und grenzt an Bayern und Sachsen. Nach Daten der Statistischen Landesämter gehörte er 2021 mit einem Jahresdurchschnittseinkommen von 29.048 Euro brutto deutschlandweit zu den zehn Landkreisen mit den niedrigsten Gehältern pro Arbeitnehmer. Etwa 40 Prozent der Beschäftigten seien im Mindestlohnsektor, hieß es vom Deutschen Gewerkschaftsbund Hessen-Thüringen.

se/sti (dpa, rtr, afp)